Wittstock/Zempow. So macht es der Mensch. Beispielsweise wenn er eine Weide voller Kühe betritt und sie Richtung Ausgang treiben möchte. Dann lärmt er, rennt und fuchtelt mit den Armen, weil Menschen ja auf so was reagieren würden. Und was machen die Kühe? Driften in alle Richtungen auseinander und landen höchstens zufällig am Ausgang. Dämlich eben. Oder, Herr Dr. Schäkel?
Wilhelm Schäkel, Jahrgang 1962 und aus Ostwestfalen nach Brandenburg gezogen, ist ein großer Zerstreuer von Kuh- und Ziegenvorurteilen. Er sitzt in einem zugigen Schuppen auf seiner großen Ranch und bereitet die Teilnehmer eines Kuh-Seminars auf einen anderen Umgang mit dem Vieh vor: einen respektvollen. Der Mensch soll nicht von der Kuh verlangen, dass sie ihn versteht. Er selbst soll lernen, Kühe zu verstehen.
Lektion 1: Die Kuh kommuniziert mangels Gesichtsmuskulatur nur mit den Ohren, nicht durch Mimik. Ein Defizit, das ihr den aus Menschensicht stoisch- dümmlichen Gesichtsausdruck beschert.
Lektion 2: Weidekühe mögen es nicht, wenn man ihnen zu nah kommt, die Angus-Fleischrinder auf Schäkels Ranch ganz besonders nicht, die werden nicht mal gemolken. Der Mensch aber rückt anderen Lebewesen gern auf die Pelle – einer der Gründe misslingender Mensch-Kuh- Kommunikation.
Lektion 3: Verärgerte Kühe können aggressiv reagieren.
(Anmerkung: Das stimmt so nicht. Kühe können angreifen, sind aber niemals ähnlich aggressiv wie Menschen oder Raubtiere.) Für den Praxistest geht es auf die Weide. Was die Menschen, zumindest die Städter, dabei feststellen, ist: Kühe sind ziemlich kräftig, erst recht ein Bulle. Da wird der Umgang ganz von selbst respektvoll. Schäkel demonstriert, wie sich eine Herde stressfrei in Bewegung setzen lässt. Entschieden geht er auf die wackelnden Ohren zu und stoppt, als die erste Kuh den Kopf hebt. Er blickt ihr ins Auge und geht dann wie auf einer Linie hin und her, baut quasi eine unsichtbare Wand auf. Die Kuh erkennt die Signale und rückt ab. Die Seminaristen staunen, Schäkel freut sich. Die Kuh hat seiner Bitte um Bewegung zielgenau entsprochen. „Low Stress Stockmanship“ nennt sich das, nach Bud Williams, einem US-Rancher, der vor Jahrzehnten aus Berichten von Cowboys eine Art Lehre destillierte, wie Kühe von A nach B zu treiben oder Kälber von ihren Müttern zu trennen seien. Möglichst stressfrei, auch im Sinne der Fleischqualität. Die Lehre verbreitete sich in den USA und Mexiko und kam über Philipp Wenz nach Deutschland und Zempow, wo es neben Seminaren auch um Rindfleischproduktion geht.
Die Seminaristen – an diesem Tag weiblich und aus biografischen Gründen landwirtschaftlich interessiert – stellen beim Nachmachen fest, dass sich das einfacher anhört, als es ist. Sie sind die impulshafte Kommunikation mit Tieren nicht gewöhnt, machen zu viel Druck, bleiben nicht stehen, wenn die Kuh guckt oder sich bereits bewegt, und erreichen so nichts. Ein „ehrliches Feedback“ von den Kühen sei das, sagt Schäkel. Die Seminaristen waren nicht bestimmt genug – oder zu bestimmt. Das lasse sich aber üben.
Um noch ein als doof verschrienes Tier zu rehabilitieren, geht es zur Ziegenwiese. Auch dort impulshafte Kommunikation. Stehen bleiben, wenn die Ziegen (Anmerkung: Es waren Schafe) sich in Bewegung setzen. Das geht etwas besser, was auch an der vergleichsweisen Zartheit der Tiere liegt. Als die Ziegen sich an die Besucher gewöhnt haben, lassen ein paar von ihnen sich die Hälse kraulen – was die gerade vermittelte Botschaft von der vor allem problematischen Distanzlosigkeit des Menschen erschüttert, aber auch verloren gegangene Umgangssicherheit (Mensch krault Tier) wiederherstellt. In diesem traulichen Gefühl reisen die Menschen ab. Und was denken die Tiere? Falsche Frage. Wie sagte Schäkel: „Wir sollen nie denken, was die Tiere denken, denn das tun sie nicht.“
von Ariane Bemmer (Tagesspiegel) 11.07.2013
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