Wilhelm Schäkel züchtet im Norden Brandenburgs Angusrinder und erklärt Großstädtern, wie sie sich auf der Weide verhalten sollen. Kühe kommunizieren mit den Ohren.
Wittstock/Zempow. Da hat der Mensch mit seinen kleinen, eng anliegenden Exemplaren schlechte Karten aus Rindviehsicht: keine Ohren, keine Gefühle, keine verständliche Ausdrucksweise.
Dafür besitzt der Mensch stechende Augen, die wie bei einem Raubtier vorn im Gesicht angeordnet sind. Er kommt gern zudringlich nah heran und ist im Vergleich zur langsamen Kuh eher schnell und hektisch in seinen Bewegungen.
„Da können leicht Missverständnisse entstehen“, erläutert Wilhelm Schäkel, promovierter Landwirt, den Teilnehmern seines „Kuhflüsterer-Seminars“ im idyllischen Zempow im Landkreis Ostprignitz-Ruppin.
Er spielt damit auf den Unfall an, bei dem kürzlich eine 77-Jährige aus Berlin auf einer Alpweide im Kanton Graubünden von Kühen totgetrampelt wurde. Sie hatte den elektrischen Zaun geöffnet und wollte wahrscheinlich durch die Herde hindurch den Weg abkürzen. Offenbar fühlten die Muttertiere ihre Kälber bedroht und gingen zum Angriff über.
Um solche Tragödien zu vermeiden, bietet Schäkel Seminare auf seiner Ranch an, bei denen die Teilnehmer in Theorie und Praxis lernen können, die „Sprache der Kühe“ zu verstehen. Für Großstädter gibt es eine unterhaltsame Drei-Stunden-Variante. Ausführliche Kurse bietet Schäkel auch Bauern an, die auf Weidehaltung umstellen wollen sowie Landwirten im Auftrag der Berufsgenossenschaft, die Unfälle im Stall und auf der Weide vermeiden möchte.
Schäkel hält auf seiner Bio-Ranch im Norden Brandenburgs Angusrinder. Die Kälber werden eineinhalb bis zwei Jahre auf der Weide gemästet, bevor sie geschlachtet werden. Sie geben gutes Fleisch, sie haben von Natur aus keine Hörner. Die Kälber werden nicht mehr, wie vor 30 Jahren noch in der Landwirtschaft üblich, von den Müttern getrennt, sondern wachsen im Herdenverband auf. Selbst die Bullen leben – bis alle Kühe erneut tragend sind – mit der Herde.
Dadurch sind die Tiere emotional stabil, aber auch halbwild. Anders als Kühe, die jeden Tag gemolken werden, sind sie die Berührung von Menschenhand nicht gewohnt. Näher als drei Meter geht auch Wilhelm Schäkel nicht gern an sie heran: „Die Kuh schätzt ihre Intimsphäre. Und ich mag es ebenfalls nicht, wenn mir ein Tier an den Hosentaschen schnuppert“, sagt Schäkel. Rinder sind Fluchttiere, und wenn man stolpert oder stürzt, kann schnell ein Unglück passieren.
Im sanften Zickzackkurs
Schäkel demonstriert den Seminarteilnehmern, die auf einem Traktoranhänger in Sicherheit sitzen, wie er die Herde aus der Ferne auf sich aufmerksam macht, bis alle 137 Tiere, die zusammengedrängt in der Sonne liegen, ihn wahrgenommen haben. Er läuft im sanften Zickzackkurs langsam auf den Herdenverband zu, die Hände in den Hosentaschen vergraben. Fuchtelnde Arme werden als Raubtierkrallen interpretiert. Er hält sich in respektvoller Entfernung ein wenig längs der Herde, ohne den Tieren dabei in die Augen zu schauen.
Nach und nach stehen die Kühe auf. Die Herde bereitet sich auf die Arbeit vor. Mal sehen, was der Mensch heute will: Das kann der Weg zu einem neuen Weideplatz sein, oder dass ein Tier wegen eines Tierarztbesuchs aus der Herde gelöst werden muss. Schäkel zeigt den Kühen durch ruhige, aber bestimmte Bewegungen, in welche Richtung sie laufen sollen. Durch Stopps und Rückwärtsschritte kann er einzelne Tiere wie die ganze große Herde zum Anhalten bringen. Es ist faszinierend, diesem Kuhballett zuzuschauen.
Das Wichtigste in Kürze:
Die wichtigsten Regeln im Kontakt mit halbwilden Kühen: Nicht zu dicht herangehen, kein Streicheln, sich nie zwischen Kalb und Muttertier stellen! Schnaufen ist keine Einladung zum Spielen, sondern heißt: Weg hier aus meiner Herde.
Hunde nicht frei laufen lassen! Kühe halten sie für Wölfe.
Wackelnde Ohren bedeuten bei 200 Metern Entfernung: Ich sehe dich. Wenn die Kuh bei einem Abstand von 150 Metern ihren Kopf dem Menschen zuwendet, ist das kein Signal: Toll, Besuch! Es heißt: Bleib, wo du bist! Abwarten, bis sich die Kuh entspannt, dann kann man sich ihr langsam nähern, aber nur bis drei Meter.
Der direkte Blick auf die Kühe ist dem Menschen aus 200 Metern erlaubt. Je näher er den Tieren kommt, desto weicher sollte der Blick werden und eher die ganze Herde umfassen – nicht einem einzelnen Tier direkt in die Augen schauen!
von Karin Stemmler 11.08.2015 (Berliner Zeitung)
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