Low Stress Stockmanship
Im Umgang mit dem Tier arbeiten wir seit 2008 mit stressarmen Methoden des „Low Stress Stockmanship“. Alle Herdenaktionen, ob Weideumtrieb, Absetzen, Trächtigkeitsuntersuchung und Ziehen von Blutproben, Klauenpflege, Aussortieren und Auf- und Abladen legen wir so an, dass den Tieren so wenig Stress wie möglich entsteht. Wir arbeiten mit Vertrauen – je weniger Angst entsteht, desto ruhiger und zufriedener bleiben die Tiere. Schon die jungen Tiere lernen, ruhig auf die Waage oder den Hänger zu gehen. Damit verringert sich auch die Verletzungsgefahr und die Tiere sind weniger anfällig gegen Krankheiten.
Der stressarme Umgang mit Herdentieren wurde von dem texanischen Cowboy Bud Williams als erste lehrfähige Methode des „Kuhflüsterns“ entwickelt und als Low Stress Stockmanship eingeführt. Steve Cote hat die Methode in den USA für den Naturschutz nutzbar gemacht und das Standardwerk zu dem Thema verfasst. Weitere Autoren haben uns für unsere praktische Arbeit mit den Tieren inspiriert.
Voraussetzung für den stressarmen Umgang ist zunächst, dass sich der Mensch in das System Herde einfühlt und ein Verständnis davon bekommt, wie Rinder miteinander in der Herde und in einer Rangordnung umgehen und wie sich die Tiere miteinander bewegen. Auch die Kenntnis vom Sichtfeld der Kuh ist wichtig. Der Mensch lernt seine Körpersprache auf eine Art und Weise einzusetzen, die für die Rinder nicht bedrohlich erscheint. Er/sie bewegt sich als ranghohes bzw. ranghöchstes Herdentier und vermittelt auf diese Weise Klarheit und Sicherheit. Die Haltung des Menschen ist die des „guten Hirten“.
Die 5 goldenen Kuh-Regeln nach Bud Williams
- Kühe wollen sehen, mit wem sie es zu tun haben (wer oder was sie treibt).
- Kühe gehen dahin, wohin ihr Kopf ausgerichtet ist.
- Kühe möchten anderen Kühen folgen (Herdentrieb)
- Kühe haben wenig Geduld.
- Kühe haben nur eins im Sinn (sind immer präsent im Augenblick).
Zonenkonzept
Das Zonenkonzept ist ein Konzept, das mit Kommunikationszonen arbeitet. In jeder Kommunikationszone wirkt eine andere Ausdrucksform von Körpersprache. Es hilft beim Verständnis, welche Bewegungsrichtung der Körpersprache in welchem Bereich/Abstand zur Herde oder zum einzelnen Tier am wirksamsten ist. In der Zusammenarbeit mit der Herde entsteht immer eine Beziehung. Es ist wichtig, die Zeichen der Tiere wahrzunehmen. Hier geht es nicht nur um das Sehen, sondern hier hilft auch, das Spüren und Fühlen zu nutzen und die sensorischen und intuitiven Fähigkeiten zu entwickeln.
Weite Zone: Sicherheitszone der Herde
Hier wird von weitem geprüft: wer kommt – Freund oder Feind. Im Moment der ersten Beobachtung durch die Kuh bleibt der Mensch stehen und schaut zurück (Respekt). Das gegenseitige Sehen und Gesehen werden und das damit verbundene Sich Zeigen bedeutet Respekt und gibt das erste Vertrauen. Wichtig ist, dass die Kuh den Kopf wieder senkt und weitergrast. Das ist das Zeichen für die Herde, dass alles in Ordnung ist. Der Mensch liest an diesem Herdenverhalten ab, dass von ihm nichts Beunruhigendes ausgeht. Die Körpersprache ist: sich groß machen, zeigen in ruhiger Stellung. Das beweist der Kuh, dass hier kein Raubtier lauert. Der typische „Raubtierfokus“-Blick, der in der Nähe schädlich ist, kann hier bewusst eingesetzt werden, um die Zeichen der Kühe zu lesen (z.B. Ohren, Ausrichtung des Kopfes, Körperstarre) und bereits eine Verbindung zur Herde herstellen. Der Mensch testet hier die Aufmerksamkeit der Kuh/der Herde. Aufmerksamkeit ist die erste Voraussetzung zur guten Zusammenarbeit.
Mittlere Zone: Beziehungszone der Herde
Beim Näherkommen tritt der Mensch bereits in den Herdenraum ein und die konkrete Tier-Mensch-Beziehung beginnt. Die Kühe prüfen hier: wer kommt – ranghoch oder rangniedrig. Der Mensch zeigt sich durch ruhiges, durchaus deutliches Gehen (kein Schleichen) gerader Wege seine innere Sicherheit und Klarheit an. Er vermittelt damit die Qualität eines ranghohen Herdentieres. Die Wege verlaufen seitlich schräg zur Herde, daraus ergibt sich eine Annäherung im Zick-Zack-Kurs. Die Impulse in der mittleren Zone wirken indirekt, im 90°-Winkel zur Bewegungsrichtung. Die „Chefposition“ wird dadurch bestärkt, dass an jeder Ecke eine sichtbare Entscheidung getroffen wird. Der Mensch nähert sich auf diese Weise an. Die Rinder können die Körpersprache des Menschen entspannt beobachten und dabei ihre derzeitige Tätigkeit (grasen etc.) fortsetzen. Die vertrauensvolle Beziehung entsteht. Der Mensch weitet seinen Blick zum Hirtenblick, der über die Herde schweift, ohne einzelne Tiere zu fokussieren. Die Kunst ist, die Zeichen der Tiere zu lesen, sich in die Herdensituation einzuspüren, ohne Einwirkung zu haben. Die Richtung der Körpersprache ist also rechts-links, hin und her. Hier testet der Mensch die Bereitwilligkeit der Tiere, den Menschen in der Herde zu akzeptieren. Die Herde kann aber auch als Ganzes in der mittleren Zone durch dieses Manöver in Bewegung gesetzt werden.
Nahzone: Individualzone (individuelle Wohlfühlzone)
Wenn die Kuh mit einer Bewegung auf die Annäherung des Menschen reagiert, ist das das Zeichen für den Menschen, dass er/sie die Nahzone betreten hat.
Die Nahzone bzw. ihre Grenze ist der individuelle Schutzabstand, den auch Menschen kennen. Hier kommt die Rangordnung ins direkte Wirken: der/die Ranghöhere geht, der/die rangniedrigere weicht. Direkte Impulse durch Körpersprache, die an das einzelne Tier adressiert sind, erzeugen Bewegung. Die Wohlfühlzone ist aber auch der Bereich, in dem unter Kühen Freundschaften mit Körperkontakt gepflegt werden, etwa bei der Fellpflege. Die Rangordnung fällt dann weg. Als Mensch überlassen wir das den Tieren. Wir bleiben im Rangordnungsverhältnis, geben durch Vorwärtsbewegung die z.B. auf die Schulter des Tieres gerichtet ist, einen direkten Druckimpuls, den wir durch einen Schritt zurück aus der Nahzone heraus wieder nachlassen/ entspannen. Die Kuh kann damit die eigene Entscheidung treffen, dem Impuls zu folgen, indem sie dem Ranghöheren auf natürlich-entspannte Weise und im Vertrauen nachgibt. Der Mensch erkennt an der Bewegung der Kuh (Tempo, Strecke), wie stark sein/ihr Impuls war, bzw. wie sensibel die Kuh ist. Hier wird also die Durchlässigkeit getestet und die Bewegung der Körpersprache ist vorwärts-rückwärts. Rückwärts heißt Raum geben. Das ist von sehr großer Bedeutung, um Stress aus einer Situation heraus zu nehmen, z.B. Starre aufzulösen. Das scheinbare Paradox ist dann, dass die Kuh geht, wenn der Mensch zurückgeht. Raum geben wird von der Kuh keineswegs als Zurückweichen empfunden, sondern als angenehm. Der Mensch verliert seine Chefposition damit nicht.
Die Zonen haben keinen definierten Abstand in Metern. Die Lage der Zonen ergibt sich situativ und kann von einem auf den anderen Tag anders sein. Daher ermöglicht die achtsame Wahrnehmung „mit allen Sinnen“ und das „für sich präsent Sein“ beim Annähern an die Herde wichtige Informationen, um erfolgreich und entspannt mit der Herde zu arbeiten.
Aufbauend auf dieses Grundverständnis können verschiedene Manöver eingesetzt werden, um die Herde, eine Gruppe oder Einzeltiere zu starten, zu wenden, zu beschleunigen, zu verlangsamen, zu stoppen oder entspannt und diszipliniert in einer engeren Situation zu händeln.
Low Stress Stockmanship wird eingesetzt auf der Weide, um mit der ganzen Herde z.B. bei Umtrieben zu arbeiten. Bei Herdenaktionen, bei denen Tiere sortiert oder vereinzelt werden müssen, hat sich der Aufbau von Fanggittern mit einer sogenannten Bud Box bewährt. Bei der Arbeit in engen Stallsituationen ist es besonders wichtig den Übergang zwischen naher und mittlerer Zone zu erkennen, um mit der richtigen Körpersprache in der richtigen Zone zu agieren. Das trägt wesentlich dazu bei, Missverständnisse zu vermeiden, die im Ernstfall auch zu Unfällen führen können.